Krupp, ein Pferd und die Polizei

Von Ralf Stremmel

Drei Taler Strafe sollte er zahlen, der Stahlindustrielle Alfred Krupp aus Essen, 39 Jahre alt und Eigentümer einer florierenden Fabrik von 400 Beschäftigten. An einem kalten Wintertag, dem 18. Januar 1853, hatte ihn ein Gendarm bei einem Fehlverhalten im Straßenverkehr erwischt. 

Krupp hatte damals auf dem Gelände seiner Gussstahlfabrik, wo er inmitten von Fabrikhallen, Maschinengebäuden und Schornsteinen wohnte, sein Pferd gesattelt, um im zwölf Kilometer entfernten Mülheim etwas zu erledigen. Wahrscheinlich war er in munterer Stimmung. Euphorie wäre jedenfalls leicht zu erklären, denn die Geschäfte liefen vorzüglich. Mit der Erfindung des nahtlosen Eisenbahnradreifens war ihm eine epochale technische Revolution gelungen. Radreifen ohne Schweißnaht machten das Eisenbahnfahren weitaus sicherer und vor allem schneller. Privates Glück kam hinzu: In Köln hatte Krupp eine zwanzig Jahre jüngere Frau kennen und lieben gelernt, Bertha Eichhoff. 

Nun ritt der Stahlfabrikant, vielleicht in Eile, auf dem Weg von Essen nach Mülheim einen scharfen Galopp. Zu seinem Unglück stand die Polizei am Straßenrand. Gendarm von Morsey meinte nicht nur einen „kurzen Handgallopp“ gesehen zu haben, sondern einen regelrechten „Attaquen-Gallopp“, wie er der Justiz nüchtern mitteilte. Das stellte einen Verstoß gegen § 13 des Mülheimer Straßen-Ordnungs-Polizei-Reglements dar.

Offensichtlich hatte Krupp die Passanten gefährdet. Folge: ein Strafmandat, und zwar über drei Taler. Das entsprach etwa dem durchschnittlichen Wochenverdienst eines Krupp’schen Arbeiters, war aber in Relation zum Erfolg der Firma äußerst gering. Das Unternehmen hatte im Vorjahr 30.000 Taler Gewinn gemacht!

Dennoch erschien Krupp die Geldstrafe ganz und gar unverhältnismäßig und er legte vor Gericht Einspruch ein. Am 1. März 1853 trat die Königliche Kreisgerichts-Commission zu Bruch in öffentlicher Sitzung zusammen und verhandelte seinen Einspruch – und Krupp hatte zumindest teilweise Erfolg: Der Richter reduzierte die Strafe auf einen Taler. Aber ob er unter dem Strich tatsächlich günstiger abschnitt, ist zweifelhaft, denn der Essener Unternehmer musste zu guter Letzt auch die Gerichtskosten bezahlen. Wie hoch diese waren, lässt sich leider nicht mehr ermitteln. Alfred Krupp dürfte dies gleichgültig gewesen sein; angesichts der Beträge ging es hier offenkundig um eine prinzipielle, nicht um eine materielle Frage.

Portrait von Alfred Krupp, ca. 1857
Historisches Archiv Krupp, ÜF 2/14.3.1.14 - Portrait von Alfred Krupp, ca. 1857 |

So kurios diese Episode auch erscheinen mag, sie wirft doch Schlaglichter auf den Charakter dieses Mannes und auf Erfolgsfaktoren seines Wirkens als vielleicht bedeutendste Persönlichkeit der Industrialisierung in Deutschland. Tempo, Risiko – das markierte nicht nur Krupps Reitstil, sondern auch seine Unternehmensphilosophie. Rasches Eingehen auf die Erfordernisse des Marktes, schnelle Umsetzung technischer Innovationen (ob bei der Entwicklung des Radreifens oder der Gussstahlkanone), Bereitschaft zu riskanter Expansion – all das durchzieht den Lebensweg Krupps. In der Geschichte um das „Knöllchen“ tritt er selbstbewusst und fordernd auf. Ohne diese Eigenschaften wäre es ihm trotz der Gunst der Zeit schwer gefallen, aus seinem kleinen Handwerksbetrieb einen Weltkonzern zu schmieden. 

In Vergessenheit geriet das Strafmandat nicht ganz. Man bewahrte das Gerichtsurteil auf, vielleicht als humoristische Reminiszenz. Schließlich gelangte das Schriftstück zu Beginn des 20. Jahrhunderts in das damals neu gegründete Krupp-Archiv, wo es noch heute unter der Signatur FAH 2 D 4 aufbewahrt wird und eines der Mosaiksteinchen darstellt, aus denen sich ein Bild der Zeit und ein Bild des Menschen Alfred Krupp zusammensetzen lässt. Seit kurzem ist es jetzt für jeden online im Archivportal-D und der Deutschen Digitalen Bibliothek einsehbar.

 

Der Text stammt von Ralf Stremmel, Leiter des Historischen Archiv Krupp. Wir bedanken uns herzlich für die Bereitstellung des Textes und die schöne Anekdote über den flugs galloppierenden Alfred Krupp.

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